Axel Voss - Freier Journalist

Aus meinen Arbeitsproben

Startseite

Über mich

Über meine Arbeit

Fachgebiete

 Populäre Irrtümer

Arbeitsproben

Aktuell

Kunden und Referenzen

Deutsche Sprache

Über meine Listen

Drachen

Hintersinniges

Fachinfos für
Journalisten

Impressum und Kontakt

Zum 100. Geburtstag von Marlene Dietrich

 Erschienen am 29.12.2001 in der Rhein-Zeitung

Die Beene der Marlene

“Wenn Se Beene wollen, dann kriejen Se Beene.” war ihr trockener Kommentar, als sie 1922 in gezierten Posen auf Werbefotos für Schuhe und Strümpfe zu sehen war. Wahrscheinlich wußte die unvergessene Marlene Dietrich, die am 27.12.2001 einhundert Jahre alt geworden wäre, auch schon als junger Mensch um die erotische Anziehungskraft ihrer Beine. Beine, mit denen sie die Welt erobern sollte.
Ursprünglich sollte Marlene Dietrich nach dem Willen der Mutter Geigerin werden. Doch 1922 tauchte sie bei ihrer Mutter mit einer bandagierten linken Hand auf. Angeblich ein entzündetes Gelenk und sie dürfe zwei Monate keine Geige mehr spielen. Ob dies wirklich der Fall war, ist fraglich, denn ihre spätere Erinnerungen an diese Verletzung sind höchst widersprüchlich: Mal sprach sie von einem gebrochenen Finger, dann wieder von einem erkrankten Muskel oder einer Verstauchung.
Natürlich wolle sie nicht müßig sein, erklärte sie der Mutter, und in den kommenden Monaten Stimm- und Schauspielunterricht nehmen. Tatsächlich hatte sie bereits eine Sprechprobe an der Max Reinhardt Schule in Berlin vereinbart. Wer sie erfolgreich abschloß, hatte den Marschallstab im Tornister. Entsprechend hoch waren die Zugangshürden. Marlene sollte bei der Sprechprobe eine Passage aus Hofmannsthals ‚Der Tor und der Tod rezitieren‘ und fiel prompt durch. Erst ein zweiter Versuch kurze Zeit später mit dem Rezitat einer Szene aus Faust stellte das Kuratorium zufrieden. Marlene durfte sich im Sommer 1922 einschreiben.
Es war damals üblich, dass die Filmproduzenten der Studios in Babelsberg, Tempelhof und am Zoo kleine Rollen und Komparsen mit begabten Rheinhardt-Schülern und -schülerinnen zu. Marlene bekommt eine kleine Rolle in Joe Mays ‚Tragödie der Liebe‘. Mays Regieassistent war ein gewisser Rudolf Sieber mit dem sie ein heftiges Techtel-Mechtel begann und den sie ein Jahr später heiratete. Eine richtige Ehe sollte es sie werden, auch wenn sie sich hat nie von ihrem Mann scheiden lassen und 1914 Töchterchen Maria zur Welt kam. Marlenes weiterer Lebensweg war mit Beziehungen zu Männern und Frauen, darunter Maurice Chevalier, Frank Capra, Erich Maria Remarque, Jean Gabin, übersät.
Die Dietrich spielte im Berlin der 20er viele Rollen, jedoch in keiner sonderlich erfolgreich. Gut, das Berliner Publikum kannte sie, aber von einem Star zu reden, wäre maßlos übertrieben. Am 5.9.1929 hatte am Berliner Theater ‚Zwei Krawatten‘ Premiere, eine musikalische Satire auf einen Kellner (Hans Albers). Marlene hatte in dem Stück nur einen einzigen Satz (Speisen wir heute Abend?) zu sagen, ansonsten stand sie nur gelassen auf der Bühne herum und beeindruckte durch ihre laszive Sinnlichkeit. In der Woche nach der Premiere saß im Publikum ein Regisseur. Er sah sich die Vorstellung nicht zu Ende an. Er stand auf als er den Satz der Dietrich gehört hatte und verließ das Theater. Nicht, ohne ihren Namen im Programmheft angekreuzt zu haben. Der Name des Regisseurs: Josef von Sternberg.
Von Sternberg steckte mitten in den Vorbereitungen für Der Blaue Engel. Er war nach Europa gekommen, um die richtige Schauspielerin für die Rolle der flatterhaften Lola zu suchen. Er hatte sie mit Marlene Dietrich gefunden. Die Dreharbeiten zum Blauen Engel dauerten vom 4.11.1929 bis 30.1.1930. Ungewöhnlich lang, was daran lag, dass jede Szene in Deutsch und in Englisch aufgenommen werden mußte. Eine Nachsynchronisation war damals technisch noch nicht möglich. Der langen Drehzeit sollte eine Schlüsselfunktion für Marlenes weitere Karriere zukommen. Von Sternberg und die Dietrich hatten ausreichend Gelegenheit, sich sehr gut kennen zu lernen. Aus der Begegnung entstand eine Beziehung, die bis 1935 dauern sollte mit Sternberg als Mentor, Manager, Lehrer; und bisweilen als ihr Liebhaber.
Der Blaue Engel, ein Film basierend auf Heinrich Manns Professor Unrat, war ein für damalige Zeiten ungewöhnlich dekadenter Streifen. Die Ufa bezeichnete ihn im aufkeimenden Nationalsozialismus als undeutsch, immerhin war ja auch ein Amerikaner und Jude österreichischer Abstammung der Regisseur. 1933 verboten die Nazis den Film. Aber die Dietrich wollte überhaupt keinen Vertrag mit der Ufa. Ihr Instinkt, unterstützt von Sternbergs Zureden, sagte ihr, dass die Zukunft in Hollywood lag. Und Marlene wollte nicht warten. Wenige Stunden nach der Premiere des Blauen Engel, sie wartete noch nicht mal die (glänzenden) Kritiken ab, reiste sie nach Bremerhaven, um das nächste Schiff in die USA zu erreichen.
Als die Dietrich in Amerika ankam, hatte ihr Ruf sie bereits überholt. Kritiker verglichen Marlene mit einem zweiten, ebenfalls gerade aufgehenden Stern: Greta Garbo. Marlene bekam einen Vertrag bei Paramount. Das amerikanische Publikum sollte vorsichtig auf die verruchte Dekadenz des Blauen Engel vorbereitet werden. Deshalb schoben die Filmbosse den amerikanischen Start des Films hinaus. Sternberg sollte zunächst einen anderen Stoff mit ihr drehen: Flammende Herzen. Auch hier spielt die Dietrich ein Barmädchen, genauer gesagt, eine Kabarettsängerin. Jedoch mit einer völlig anderen Perspektive. War sie im Blauen Engel das untreue Flittchen, spielt sie in Flammende Herzen die treue Freundin an der Seite des Soldaten Tom Brown, dargestellt von Gary Cooper, mit dem sie auch gleich eine Affaire begann; sehr zum Ärger von Sternberg. Flammende Herzen war einen Riesenerfolg. Das Publikum feierte den neuen Star, und die Fachwelt nominierte ihn für den Oscar. Näher ist die Dietrich dem berühmtesten Preis der Filmwelt nie gekommen.
Marlene Dietrich ist neben James Dean wohl die einzige Schauspielerin, die nur sehr wenige Filme brauchte, um Weltstar zu werden. Die nächsten beiden Streifen, immer noch unter Sternberg, trugen maßgeblich dazu bei, festigten den Dietrich Charakter der einsamen femme fatale, deren Vergangenheit sie nicht zur Ruhe kommen läßt. In “Entehrt”, ein Stoff der stark an Mata Hari erinnert, spielt die Dietrich eine österreichische Spionin und Prostituierte, und in ihrem wohl größten Vorkriegserfolg Shanghei-Expreß ein leichtes Mädchen, das im chinesischen Bürgerkrieg von Peking nach Shanghai flieht. Der Film machte Marlene Dietrich endlich zu Hollywoods führenden Herrscherin der Begierde und Ikone von geheimnisvoller Ausstrahlung und Stil. Und sie sollte es für viele Jahre bleiben. Ihre Anziehungskraft, nicht nur bei Filmen unter Sternberg, man denke nur an ihre Rolle  als Christine Vole in Zeugin der Anklage war weniger Resultat schauspielerischer Fähigkeiten, denn einem sorgfältig geplanten Glamour, auf den das Etikett amerikanisch kaum zutrifft. Auch wenn sie im 2. Weltkrieg die US-Truppen mit Songs bei Laune hielt.
Gesang war Marlene Dietrichs zweite Leidenschaft und ihr vielleicht sogar größeres Talent. Viele assoziieren mit Marlene Dietrich lediglich Lili Marlene, aber sie sang auch hunderte anderer Songs, darunter so gegensätzliches wie Paff, der Zauberdrachen, Die Antwort weiß ganz allein der Wind oder La Vie en Rose.
So exzentrisch Marlene Dietrichs Leben auch gewesen sein mag, so sensibel und empfindsam reagierte sie auf Schicksalsschläge im Freundeskreis. Als Frederick Hollaender, er hatte Lieder für viele ihrer Filme geschrieben, auch für den Blauen Engel 1976 starb, verschloß sie sich tagelang in ihrer Pariser Wohnung. Kurze Zeit später verschied Rudi, zumindest auf dem Papier noch immer ihr Ehemann. Sein Tod bewog Marlene zu der Bemerkung: “Nein, ich will nicht mehr. Da draußen ist zu viel Trubel. Und bitte besucht mich auch nicht. Laßt mir meine Ruhe.”
Kaum jemand glaubte Joshua Sinclar als dieser 1977 bekannt gab, Marlene werde die sich selbst auferlegte Isolation in ihrem Pariser Appartement aufgeben und in Schöner Gigolo, armer Gigolo an der Seite von Rockstar David Bowie auftreten. Man mag darüber spekulieren, ob es die 250.000 Dollar für zwei halbe Drehtage in einem Pariser Studio gewesen waren, die Kulisse für ihre Szene wurde eigens für sie nach Frankreich transportiert, oder der fehlende Kontakt zu ihrem Publikum, die sie zu ihrem letzten Auftritt veranlaßte. Das Publikum konnte Marlene wegen des grellen Scheinwerferlichts nicht mehr sehen. Sie sang aber. Und wie! Im Text kommt die Passage Youth will pass away zu deutsch - die Jugend wird vorbei sein - vor. An dieser Stelle des Textes war ein trauriges Beben in ihrer Stimme zu hören. Subtiler Pathos. Zu echt, um geheuchelt gewesen zu sein. Kurz nach den Dreharbeiten kehrt Marlene Dietrich in ihre Pariser Wohnung zurück. Von wenigen Terminen bei Ärzten abgesehen, verläßt sie ihr Haus nicht mehr bis zu ihrem Tod am 6.5.1992.