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Axel Voss - Freier Journalist

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50 Jahre Fernsehen in Deutschland

Erschienen am 20.10.2001 in der Rhein-Zeitung

Der Alltag in Serie

Knapp vier Jahre nach dem Start des Fernsehens in Deutschland, beginnen auch TV-Serien die Gunst der Zuschauer zu erobern. Es war die Zeit, in der die Deutschen im Westen fest ans Wirtschaftswunder glaubten und sich zwischen Tütenlampe und Nierentisch nur eins wünschten: Eine heile Welt. Sie bekamen sie serviert. Ab 15.9.1954 in Form der ‚Familie Schölermann‘, der ersten Familienserie. Heikle Themen wie Religon, Ehebruch oder gar Politik waren tabu. Es ging um kleinen Nöte und Sorgen, die jedermann hatte. Viele Zuschauer glaubten, daß diese Familie tatsächlich existierte, was möglicherweise daran lag, daß es keinen Nachspann mit den Namen der Schauspieler gab. In einer Folge kauften die Schölermanns eine elektrische Nähmaschine. Prompt trudelten beim Sender Bittbriefe ein: Kann ich die alte Maschine haben? Von den Darstellern der Schölermanns hat heute nur noch einer bundesweite Bekanntheit: Charles Brauer, damals KFZ-Mechaniker und ältester Sohn der Familie, heute Tatort-Kommissar. 111mal liefen die Schölermanns mit Einschaltquoten bis zu 94%. Das ist bis heute Rekord, knapp gefolgt 1962 vom dreiteiligen Krimi und Straßenfeger ‚Das Halstuch‘ (93%) von Francis Durbridge. Der Kabarettist Wolfgang Neuss brachte “die Nation in Aufruhr” (DER SPIEGEL). Im Westberliner ‚Abend‘ verrät er einen Tag vor der Schlußfolge den TV-Mörder: Dieter Borsche
1960 hatten die ‚Schölermanns‘ ausgedient. Deutschland befand sich mitten im Wirtschaftswunder. Das wurde auch auf dem Bildschirm deutlich. ‚Firma Hesselbach‘ hieß die Serie rund um eine kleine hessische Druckerei, in der ‚gebabbelt‘, wurde was das Zeug hielt. Was waren das für Zeiten! In der ersten Folge sorgte ein verlorenes Vertragsdokument für helle Aufregung und allenfalls dafür, daß Vater Hesselbach, dargestellt von dem unvergessenen Wolff Schmidt, sich einen (!) Cognac genehmigt, als die Akte wieder auftaucht.
22 Jahre später stand wieder eine Firma im Mittelpunkt einer Fernsehserie. Aber was waren das für Dimensionen? Ein Strom von Intrigen, Mißgunst, Bosheit, Habsucht und Betrug ergoß sich in deutsche Wohnzimmer. Die Firma: Ewing Oil. Die Serie: ‚Dallas‘. Der Star: Larry Hagman alias J.R. Ewing, der Bankdirektoren bestach, damit die Konkurrenz den dringend benötigten Kredit nicht bekam oder kurzerhand deren Ölfelder in die Luft sprengen ließ. Bei Erfolg kippte J.R. immer ein bis zwei Whisky. Seine Frau Sue Ellen, dargestellt von Linda Gray, ein paar mehr. Daher konnte man nie sicher sein, ob Sues Alkoholexesse unkorrigierbare Spuren auf ihrem Gesicht hinterlassen hatten, oder ob die Künste der plastischen Chirugie an die Grenzen des Machbaren gestoßen waren.
Jedoch stand in den Kindertagen des Fernsehens in Deutschland nicht nur eine Serie wie ‚Hesselbach‘ im Fokus. Tapfere Vergangenheitsbewältigung war.ebenso gefragt.
‚So weit die Füße tragen‘. hieß ein Sechsteiler, den die ARD am 12.2.1959 startete. Die Geschichte eines Kriegsgefangenen, der aus einem Lager in Sibirien flieht und sich auf abenteuerliche Weise in den Westen durchschlägt. Hauptdarsteller: Heinz Weiss, damals noch deutlich schmaler als 22 Jahre später in der Rolle des Kapitän des ‚Traumschiffs‘ in der gleichnamigen ZDF-Serie. Ach ja, das Traumschiff: Mehr als zwei Jahrzehnte schippert es nun auch schon über die Weltmeere. Immer an Bord: Heide Keller als Chefstewardess Beatrice.  Mentaler Fels in der Brandung aus Luxus, Glamour mit Stars und Sternchen, bei denen die Welt auf hoher See nicht immer heil ist, aber alle Kummerfalten spätestens im Zielhafen geglättet sind und die Gerechtigkeit gesiegt hat.
Auf das Stichwort Gerechtigkeit kann nur eines folgen: Western-Serien, denn da siegte ebenfalls (fast) immer die Gerechtigkeit. Egal, ob ‚Am Fuß der blauen Berge‘, den ‚Leuten von der Shilo Ranch‘ oder in ‚Bonanza‘, der wohl berühmtesten Serie des Genres. Immer, wenn die netten Leute der Ponderosa-Ranch durch die Wohnstuben zwischen Flensburg und Garmisch ritten, wurde klar, wie sehr die Deutschen noch immer an jenen Wilden Westen glaubten, von dem sie wünschten, es hätte ihn so tatsächlich gegeben. Aber das macht nichts, denn erstens gehören Illusionen zum Leben wie der Container zu Big Brother; und zweitens war Bonanza im Grunde genommen keine Western-Serie.
Klar, die genreüblichen Revolverduelle und Saloonprügeleien durften nicht fehlen. Aber das war nur Szenario für soziale Dramen, auf die sogar Gerhard Hauptmann neidisch gewesen wäre. In Bonanza sollten regelmäßig Indianer betrogen, Schwarze verprügelt und Mexikaner gemeuchelt werden. Die Cartwrights wußten das auf ihre Art zu verhindern. Meist ohne Revolver. Aus Gottvertrauen, demokratischer Gesinnung und harten Fäusten bestand die Philosophie, mit der die Leute von der Ponderosa die Oberhand behielten und Schurken das Fürchten lehrten. Unmittelbare Umsetzung des Goodwill der Kennedy-Ära und Garant für eine heile Welt.
Fürchten mußten sich auch Schurken in aller Welt, wenn ein gewisser Patrick MacNee alias John Steed seiner Filmpartnerin Diana Rigg alias Emma Peel Mit Schirm, Charne und Melone eröffnete: “Mrs. Peel, wir werden gebraucht” Auftakt zur Verbrecherjagd auf Gauner, die einen Tresor geknackt hatten? Aber nicht doch! Peel und MacNee fahndeten in anderen Dimensionen. Mindestens ging es um die Unterjochung Englands durch obskure Geheimorganisationen, meist aber um die Rettung des Erdballs vor infernalischen Atomvandalen. Das ging von 1961 bis 1969 gut, bis Diana Rigg durch Linda Thorson erserzt wurde und die Serie zusehends verflachte. Ob John Steed die letzte Folge wirklich mit den Worten ‚Mrs. King, wir werden verheizt‘ eröffnete ist allerdings nicht verbürgt.
Verbürgt ist hingegen, dass der legendäre Satz ‚Hol schon mal den Wagen, Harry‘ in der ZDF-Krimi-Reihe ‚Derrick‘ nie gefallen ist, obwohl sich das in den Köpfen der Fans geradezu manisch festgesetzt hat. Das mag damit zusammenhängen, dass Fritz Wepper als Harry Klein und Assistent von Oberinspektor Stephan Derrick (Horst Tappert) auch in einer anderen Krimi-Serie auftauchte. In ‚Der Kommissar‘ mimte Wepper ebenfalls einen Harry Klein und Assistenten. Hier jedoch den von Kommissar Herbert Keller (Erik Ode), und der sagte in der Episode ‚Sommerpension‘ :”Harry, hol mal den Koffer aus dem Wagen”.
Bösewichter waren indes im Puschenkino keineswegs bodenständig.
Nur wenige Tage nachdem in den USA (bei uns erst ab 1973) die U.S.S. Enterprise erstmals in Galaxien vordrang, die nie zuvor ein Mensch erforschte, begann im September 1966 auch in Deutschland das interstellare Zeitalter und verhalf der Haarspray-Industrie zu Rekordumsätzen. Eva Pflug trug als Tamara Jagellovsk in der Serie Raumpatrouille - Die phantastischen Abenteuer des Raumschiffs Orion eine  Frisur, die nur mit gewaltigen Mengen Stütze aus der Dose zu bändigen war, und die von zehntausenden junger Frauen kopiert wurde.
Siebenmal brachen Commander Cliff Allister McLane (Dietmar Schönherr) und seine Crew ins All auf, um die Erde vor außerirdischen Fieslingen, den ‚Frogs‘, zu retten. In Schwarz-Weiß. Und mit Trickeffekten, gegen die sich japanische Monsterfilme wie Stanley Kubricks Klassiker 2001 Odyssee im Weltraum ausnehmen.
2001 hat sich die deutsche Fernsehlandschaft gründlich gewandelt. Aus ehemals zwei Kanälen und den dritten Programmen sind seit Liberalisierung des Marktes und Start des Privat-TV mehr als zwei Dutzend Sender geworden, die um die Gunst der Zuschauer buhlen. Um sie bei der Stange zu halten, greifen die Programmmacher zu fragwürdigen Methoden. TV-Serien? Selbstverständlich, aber bitte täglich! Jeden Tag eine Episode nach dem Motto: Preiswert in der Produktion, banal im Inhalt, glänzend für die Bilanz. Allein mit der Schmonzette  ‚Gute Zeiten, schlechte Zeiten‘ (Branchen-Kürzel: GZSZ) fuhr RTL mit 160 Mio Mark zeitweise mehr als die Hälfte des Jahresgewinns ein.
Solche Zahlen wecken Begehrlichkeiten. Die ARD schlug mit ‚Marienhof‘ einer Art täglichen ‚Lindenstraße‘ und dem flach gestrickten Inzest-Drama ‚Verbotene Liebe‘, zurück. Doch egal was RTL, ARD, SAT.1, Pro 7 & Co in ihren Soaps erzählen, es ähnelt sich. Eifersucht, Sekten, Hass, Krankheit und Liebe werden auf einem Niveau verwurstet, gegen das die Mainzelmännchen Grimme-Preis-verdächtig wären. Vielleicht hat das die Programmmacher zur Entdeckung des ‚Reality-TV‘ veranlasst. Zunächst mit containerisierten jungen Menschen ‚Big Brother‘ (RTL) und dann mit dem Lotterlager ‚Girlscamp‘ (SAT.1) unter südlicher Sonne. Anfangs ging die Idee auf. Kein Mensch kam auf die Idee, im Namen der Menschlichkeit ernsthaft an den Stäben der Teleknäste zu sägen. Zu groß war die Gier auf die Chance Wildfremde bei Seelenstriptease und Sex zu begafffen. Doch dann stellte sich Ernüchterung ein. Die Kandidaten dachten gar nicht daran, sich ihre Würde nehmen zu lassen, zeigten sich harmoniesüchtig und duschten mit Dollarzeichen vor den Augen in Badehose. Ein Leben fast wie im Affenhaus im Zoo, wo für Mätzchen Bananen winken. Die Demontage der Würde im Menschenhaus fand nicht statt. Unter diesem Aspekt ist die Welt doch beinahe so heil geblieben, wie wir uns es wünschen