|  | Wer sie Waitzstraße nennt, outet sich als jemand, der nicht dazugehört. Anwohner des vornehmen Hamburger Stadtteils Othmarschen sagen liebevoll 'Waitze'. Hier liegt das durchschnittliche zu versteuernde Einkommen bei 
                                knapp 80.000 Euro pro Kopf und Jahr, was die Bankendichte erklärt. Bei sechs Geldinstituten auf knapp 200 Metern braucht die Waitze keinen Vergleich mit der Zürcher Bahnhofsstraße zu scheuen. Auch das sonstige 
                                Umfeld ist gleichermaßen bemerkenswert wie standesgemäß. Die Waitze wirkt dörflich-intim. Warenhäuser fehlen; Fachgeschäfte mit ausgeprägt persönlichem Charakter prägen das Bild. Und in jedem zweiten wird der 
                                Besucher spätestens beim dritten Besuch mit dem Namen angeredet!Gleich am Anfang (Nr. 1) liegt Feinkost Glasmeyer. Obwohl nur Filiale einer profanen Supermarktkette, sehen die Kirschen so aus, als poliere sie 
                                der Lehrling stündlich. Das Personal nutzt die Bemerkung "Aber gern, der Herr" oder "Sehr wohl, gnä' Frau" genauso geknödelt, wie überzeugend. Böse Zungen behaupten, die Verkäufer sähen aus wie 
                                die Ärzte aus der 'Schwarzwaldklinik' und handhabten das Käsemesser wie ein Skalpell.
 Gegenüber residiert das Modehaus Steen (Nr. 4). Hier bestücken sich erfolgreiche, sonnenbankgebräunte BMW Z3-Fahrerinnen ab 
                                30 mit hanseatischem Outfit. Wadenlange Plisséeröcke, Knitterlook oder schräge Rocksäume sucht man vergeblich. Steen setzt mehr auf konservativen Bogner Stil.
 Nebenan hilft Casa delle Scarpe (Nr. 6) 
                                zahlungskräftigen Damen und Herren auf standesgemäße Füße. In den Regalen locken steile Kroko-Absätze und Schmalriemiges aus edelstem italienischen Leder. Angehenden Börsianer erwerben solide Engländer mit 
                                Traditionsnamen und steifem Leder. Peter Wilkens (Nr. 24) reagiert verärgert, wenn man sein Geschäft als Laden für Herrenmode bezeichnet. Er versteht sich als Herrenausstatter und weiß: ”Die Nacht in Boxershorts und 
                                T-Shirt zu verbringen zeugt von charakterlicher Verwahrlosung!” Als Alternative bietet Wilkens Herren-Pyamas vom Feinsten aus Seide oder äyptischer Mako-Baumwolle. Daneben ein beachtliches Angebot an Hausmänteln, 
                                das sogar David Niven und Cary Grant in Verzückung versetzt hätte.
 Im ‘Strumpflädchen’ (Nr. 14) ist der Name Programm. 
                                Inhaberin, Ingrid Schwartzkopff-Kohlhausen führt nur Kinder- und Damenstrümpfe. Die aber in schier unglaublicher Auswahl. Sie ist stolz darauf den ältesten Laden (Gründung 1952) der Waitzstraße zu führen. Ein wenig 
                                wehmütig erinnert sie sich an alte Zeiten: ”Einige Geschäfte wie Burmeister oben an der Ecke, dort gab es Spielwaren, Kochtöpfe und Gartenmöbel unter einem Dach, haben zwar aufgegeben und einer weiteren Bank Platz 
                                gemacht,.aber die Waitze ist nach wie vor eine Einkaufsstraße mit Herz und Flair!”
 Ein paar Schritte weiter, findet sich "Butter-Lindner" (Nr.13). Wer dort frische Faßbutter gekauft hat, wird die 
                                geschmacklich kümmerlichen Blocks in Alu-Papier im heimischen Supermarkt keines Blickes mehr würdigen. Auch das Käseangebot ist beachtlich.
 Schräg gegenüber liegt die Fischhandlung von Peter Böttcher (Nr.20). Das 
                                Angebot zwischen Rotbarsch und Zander ist zwar nur Durchschnitt, aber die hausgemachte Fischsuppe (man kann sie auch im Plastiktopf mitnehmen) gehört zum Besten, was die Millionenstadt an Fischigem bietet.
 Wer 
                                den Hunger sitzend stillen möchte, geht ins Arcobaleno (Nr. 27),. rühmliche Ausnahme unter Hamburgs Italienern, deren Küche oft einem kulinarischen Roulettespiel gleicht. Siegfried Lenz (wohnt gleich um die Ecke) sitzt angeblich oft hier und labt sich an Geflügelleber in Kräutersauce auf Feldsalat. Womit er beweist, dass er nicht nur ein Literaturexperte ist.
 Haus Nr. 25 beherbergt die ‘Teedose’ (Nr. 25). Das Fachgeschäft zeichnet sich durch einen Service aus, der nicht so recht zum Namen passen will. Jede der drei Dutzend losen Teesorten wird innerhalb von 24 
                                Stunden auch im Beutel konfektioniert angeboten.
 Etwas versteckt in einer Nische neben Nr. 19 findet man die Werkstatt von Meister Maklakow. Alexander Maklakow erscheint wie ein Überbleibsel aus einer anderen 
                                Welt. Er stemmt sich gegen die Wegwerfgesellschaft und repariert Schuhe! Die Lederbesohlung kostet zwar fast soviel wie andernorts ein neues Paar Herrenschuhe mit Sythetiksohle, hält aber länger. So gesehen ist 
                                Maklakow ein Synonym für die Waitzstraße: etwas anders, aber auf besondere Art und Weise.
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