Axel Voss - Freier Journalist

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Über die Mormonen

 Erschienen am 2.3.2002 in der Rhein-Zeitung

Nüchtern im Olympia-Rausch
 

Wenn in einer Woche die Olympischen Winterspiele in Salt Lake City beginnen, schaut die Welt auf eine Stadt, die als Hochburg einer häufig kontrovers diskutierten Glaubensrichtung gilt: die der Mormonen. Konflikte durch den olympischen Rummel sind für die strenggläubige Religionsgemeinschaft jedoch kaum vorprogrammiert.

Gut 70 Prozent der Bewohner des US-Bundesstaates Utah bekennen sich zum Mormonismus. In der Hauptstadt Salt Lake City liegt die Quote bei immerhin 48%. Weltweit haben die Mormonen rund elf Millionen Anhänger, die sich auf 157 Nationen verteilen. In Deutschland bekannten sich 1990 rund 35.000 Menschen zum Mormonentum.Beim Stichwort Mormonen denken viele Menschen sofort an Vielweiberei. Tatsächlich war ursprünglich in der mormonischen Kirche die Mehrehe fester Bestandteil der Lebenskultur, sie wurde allerdings bereits 1890 abgeschafft.
Meist begegnet man ihnen im Sommer und Frühjahr auf Plätzen und Straßen der Großstädte: Den Missionaren der ‚Kirche der Heiligen der letzten Tage‘ wie sich die Mormonen – auch nennen. Meist seriös und adrett gekleidete junge Männer, die auf Biegen und Brechen ein blaues Buch unter das Volk bringen wollen. “Das Buch Mormon – ein weiterer Zeuge für Jesus Christus” so steht es in goldenen Lettern auf dem Einband. Dieses Buch ist die Basis ihrer Lehre, deren Kern besagt, dass die Gemeinschaft der Mormonen nicht durch Abspaltung einer bestehenden Kirche entstanden ist, sondern von Gott selbst ins Leben gerufen wurde.
Verfasser des Buches ist der Amerikaner Joseph Smith (1805-1844). Smith behauptete, im Frühjahr 1820 eine Vision gehabt zu haben, in dessen Verlauf ihm Gott und Jesus Christus persönlich erschienen seien. Auf seine Frage, welcher Glaubensgemeinschaft er sich anschließen solle, habe ihm Jesus geantwortet: “Keiner, denn sie seien alle im Irrtum. Sie alle seien ein Greuel in Gottes Augen, und alle ihre Lehren seien verderbt.”
Weiterhin behauptete Smith, dass ihn am 21. September 1823 ein Engel aufsuchte, der ihn beim Namen nannte und sagte, er heiße Moroni und sei von Gott geschickt worden, um Smith auf Gottes Wunsch einen Auftrag zu erteilen.
Bei diesem Auftrag handelte es sich um die Übersetzung eines auf goldenen Platten geschriebenen Buches, das Aufschluß über die früheren Einwohnern des amerikanischen Kontinents und ihren Ursprung gebe.
Später soll Moroni Jospeh Smith noch zwei mal aufgesucht und bei seinem letzten Besuch die goldenen Platten wieder an sich genommen haben. Weiterhin behauptete Smith, dass ihm 1829 erneut ein Bote erschienen sei. Diesmal angeblich Johannes der Täufer, der berichtete, er arbeite unter der Leitung von Petrus, Jakobus und Johannes, welche die Schlüssel des melchisedekischen Priestertums besäßen. Melchisedek (hebr. ‚König der Gerechtigkeit‘) war nach 1. Moses 14, 18 in den Zeiten Abrahams der Priesterkönig von Salem und wird im Neuen Testament (Hebr. 7) als Vorbild des Hohepriesteramtes Jesu Christi gedeutet.
Aufgrund seiner Erlebnisse, die allerdings durch keinen Menschen bezeugt oder gar bewiesen sind, gründete Joseph Smith 1830 die ‚Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage‘.
Nach der Lehre der Mormonen gibt es mehrere Götter: Vater, Sohn und Geist. Vor der Geburt haben die Menschen als Geister bei Gott Vater gelebt. Gott Vater, der in einem physischen Körper lebe, ist den ‚Menschengeistern‘ weit überlegen. Damit die Menschen ihm gleich werden können, habe er den Plan aufgestellt, auf die Erde zu kommen und während des Erdenlebens durch striktes Einhalten der mormonischen Gebote Gott ähnlich zu werden.
Drei der zentralen Gebote der Mormonen sind völliger Verzicht auf Tabak, Alkohol und heiße Getränke. Für letztere gibt es eine Ausnahme, sofern die Verabreichung ärztlich verordnet wird. Deutschlands neuer Ski-Super-Star Sven Hannawald wird kaum vor seinem Start in Salt Lake City ein Pfeifchen oder eine Zigarette rauchen. Aber ist ihm auch eine Tasse heißen Kaffees verboten? Die Mormonen sehen es gerne, wenn sich auch Gäste an ihre Regeln halten. Die Rhein-Zeitung hat beim Nationalen Olympischen Komitee in Frankfurt telefonisch gefragt, ob der Deutschen Delegation spezielle Verhaltensmaßregeln mit auf den Weg gegeben werden. “Nein”, so hieß es von der Pressestelle, aber es wäre denkbar‚ dass NOK-Präsident Walter Tröger die Delegation in offiziellen Ansprachen auf die Sensibilität der Mormonen gegenüber Alkohol und heißem Kaffee hinweisen werde.‘ Konkrete Einzelheiten waren vom NOK jedoch nicht zu erfahren. Vielleicht ist das auch nicht erforderlich denn in Sachen Alkohol, ist die mormonische Lehre in Salt Lake City längst unterwandert. Offiziell ist der öffentliche Ausschank von harten Drinks gesetzlich verboten. Wer unbedingt einen Whiskey oder ein Glas Wein trinken möchte - leichtes Bier gibt es sowieso in jeder Kneipe - geht in einen sogenannten Club. Dieser Club ist nichts anderes, als jede andere Kneipe auch. Mit dem Unterschied, dass man Mitglied sein muß, um sie zu betreten und sich alkoholischen Exzessen hinzugeben. Auswärtige Besucher erwerben zu diesem Zweck eine Tagesmitgliedschaft.
Und der heiße Kaffee? Selbstverständlich ist auch der unproblematisch zu bekommen. Dazu Henk Navarro, ehemaliger Bischof der Mormonen-Gemeinde in Hamburg: “Das Gebot bezieht sich auf das einzige heiße Getränk, dass zu Zeiten Abrahams bekannt war, nämlich Tee. Tee kann abhängig machen. Gott wünscht jedoch einen unabhängigen Menschen. Daher das Gebot. Inzwischen wissen wir, dass es unzählige Kräuter gibt, deren medizinische Wirkung sich nur im heißen Aufguss entfaltet. Im Übrigen sollte man genau unterscheiden. Ein Gebot ist kein Verbot, sondern nur eine Empfehlung, sich an bestimmte Regeln zu halten.”
Ein weiterer Kernpunkt der Lehre besagt, dass Mormonen ihre Vorfahren, die sich nicht zum Mormonentum bekannten, posthum taufen lassen können, um ihnen so den Zugang zum himmlischen Paradies zu ermöglichen.. Aus diesem Grund nimmt die Ahnenforschung bei den Mormonen einen zentralen Platz ein. Unbestätigten Berichten zufolge sollen in Salt Lake City in unterirdischen Bunkern Namens- und Tauflisten von ca. 2 Milliarden Menschen lagern.
Die Mormonen finanzieren sich aus zwei Quellen. Zum einen durch den althergebrachten Zehnten, d.h. jeder Angehörige der Glaubensgemeinschaft soll zehn Prozent seines Einkommens an die Gemeinschaft abführen. Zum anderen sind Mormonen verpflichtet, an jedem ersten Sonntag im Monat zu Fasten. Die damit erzielten Einsparungen kommen ebenfalls der Gemeinde zu Gute bzw. werden zur Unterstützung sozial Bedürftiger verwendet. Unter anderem aus diesem Grund starten die Olympischen Winterspiele in Salt Lake City auch erst am zweiten Wochenende des Februars 2002.

Sind die Mormonen eine Sekte?
Der Nationalökonom und Begründer der Religionssoziologie, Max Weber (1864-1920), verstand unter einer Sekte eine christliche Gemeinschaft, die im Unterschied zu den der Idee nach allgemeinen Großkirchen, nur solche Gläubigen erfassen will, die sich freiwillig zu ihr bekennen. Nach dieser Definition wären die Mormonen also schon eine Sekte. Man täte den Mormonen jedoch Unrecht, wenn man ihre Glaubensgemeinschaft mit dem Begriff Sekte verbinden würde, wie er heute negativ besetzt ist. Die Mormonen sind durchaus eine christliche Glaubensgemeinschaft. Allerdings lehnt sie den Ökumenismus, d.h. den gleichberechtigten Dialog zwischen den christlichen Konfessionen, strikt ab und beharrt darauf, die allein selig machende Botschaft zu verkünden.
Dazu Matthias Neff, Sektenbeauftragter des Bischöflichen General Vikariats der katholischen Kirche im Bistum Trier:
“Die Mormonen sind eine Sondergemeinschaft mit christlichem Hintergrund, die aber einige Sondertraditionen und Veränderungen in ihre Lehre aufgenommen hat, dass sie so wesentlich von den anderen Konfessionen unterscheiden, dass sie von den herkömmlichen christlichen Kirchen nicht anerkannt werden kann. Egal wie der Begriff gemeint ist, von einer Sekte zu sprechen, wäre mißverständlich und daher nicht sinnvoll.”
Die evangelische Kirche hat eine ähnliche Einschätzung. Pastor Jörn Möller von der Sektenberatung der Nordelbischen Kirche in Hamburg: “Mormonismus ist eine neue Mischreligion mit stark US-patriotischen Zügen. Im geschichtlichen Selbstverständnis der Amerikaner fehlt eine ‚Alte Welt‘. Nur so ist zu erklären, dass Mormonen daran glauben, die Ureinwohner Nordamerikas kämen ursprünglich aus Palästina. Obwohl die Mormonen sich viel zu weit von den christlichen Werten im Sinne der Bibel entfernt haben um noch von der protestantischen Kirche anerkannt zu werden, sind sie ganz sicher keine Sekte”.