Axel Voss - Freier Journalist

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Über Frauen und ihre Rechte an deutschen Unis

 Erschienen im Februar 2000 in verschiedenen Regionaltageszeitungen

Der lange Weg in die Hörsäle

Mozart ist noch nicht geboren, als Dorothea Erxleben als erste Frau in Deutschland am 12. Juni 1754 an der Universität Halle zum Doktor der Medizin promoviert, und trotzdem soll es noch fast 150 Jahre dauern, bis Frauen in Deutschland das Recht bekommen, sich an Hochschulen als Studentinnen einzuschreiben. Und dies beileibe nicht im ganzen deutschen Reich. Den Anfang macht das Großherzogtum Baden, als es am 28. Februar 1900 eine Verordnung erlässt, die Frauen das Recht zum Hochschulstudium gibt. Andere Ländern, wie z.B. Preußen (1908) oder Mecklenburg (1909), folgen noch später.
Frauen hatten zuvor lediglich die Möglichkeit, sich durch Privatunterricht oder als Gasthörerin Zugang zu höherer Bildung zu verschaffen. Ob eine Gasthörerin eine Prüfung ablegen durfte, hing ganz vom Wohlwollen des Lehrkörpers ab.
Geradezu als Anachronismus erscheint, dass der Neurologe Paul Julius Möbius im Jahr 1900 eine Schrift “Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes” veröffentlicht, in der Frauen höhere intellektuelle Begabung aufgrund biologischer Vorgaben abgesprochen wird. Kopfschütteln mag die Tatsache auslösen, dass Möbius Werk in 12 (!) Auflagen bis ins Jahr 1922 gedruckt wird.
Deutschland lebt ganz im Geiste Johann Gottfried Herders, der schrieb ‚Das Frauenzimmer gehört ohne Zweifel nicht in die Hörsäle und Studierzimmer der Gelehrten‘ als eine gewisse Hedwig Kettler 1888 in Weimar den Frauenverein Reform gründet, mit dem einzigen Ziel der Förderung des Frauenstudiums.
Es ist schwer nachvollziehbar, dass das Frauenstudium im Vergleich zu anderen europäischen Staaten in Deutschland mit einer auffälligen historischen Verspätung Realität wird. In etlichen Ländern erhalten Frauen bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Zugang zu den Universitäten (Frankreich 1863, Schweden 1873, Dänemark 1875, Holland 1878, Norwegen 1882, Schottland 1892) und sic! in der Schweiz, die ja das Frauenwahlrecht erst in diesem Jahrhundert einführt, nimmt die Universität Zürich bereits 1840 Frauen auf!
Bildungsbewusste Frauen, besonders solche mit beruflichen Ambitionen, gerieten zunehmend in das Spannungsfeld des gesellschaftlichen und kulturellen Wandels um die Jahrhundertwende. Berufliche Qualifikation lag durchaus im Interesse von Staat und Gesellschaft, denn unverheiratete Frauen bedeuteten meist auch unversorgte Frauen, die dem Staatssäckel auf der Tasche lagen, aber die Umsetzung stiess auf ängstliche Ablehnung oder wurde gar gezielt untergraben.
Hier sei das Beispiel des Bonner Zoologen Hubert Ludwig genannt, der 1899 zwar Maria Gräfin von Linden (1869-1936) als erste weibliche Assistentin einstellt, sich ihr gegenüber jedoch als erbitterter Gegner erweist, als es wenige Jahre später um ihre Habilitation geht. Ludwig sagt nicht nur einfach ‚Nein‘, sondern versucht von Linden’s Akzeptanz innerhalb der Fakultät mit Sondervoten und vorgebrachten Bedenken zu untergraben.
Ähnliche Schwierigkeiten hat die Mathematikerin Emmy Nöther (1882-1935). Zwar darf sie 1907 ihr Studium mit der Promotion zum Dr. phil summa cum laude abschliessen, aber noch im Jahr 1915 gilt an preußischen Universitäten eine Verordnung, die ausdrücklich nur Männer zur Habilitation zulässt. Auf Anregung ihres Doktorvaters Prof. Dr. David Hilbert, der zu den bedeutendsten Mathematikern dieses Jahrhunderts zählt, stellt Emmy Nöther am 20. Juli 1915 einen Antrag auf Habilitation. Bis zu diesem Zeitpunkt war in ganz Deutschland noch keine Frau habilitiert worden. Nach heftigen Kontroversen in der Fakultät verbietet das Ministerium die Einleitung des Verfahrens. Trotzdem hält Emmy Nöther im Herbst 1915 ihre erste Vorlesung. Die Ankündigung im Vorlesungsverzeichnis liest sich so:
Invariantentheorie: Prof David Hilbert mit Unterstützung von Frl. Dr. Nöther, Montag 4-6 gratis.
Am 24.5.1918 schreibt Albert Einstein an Hilbert: “...Gestern erhielt ich von Frl. Nöther eine sehr interessante Arbeit über Invariantenbildung..” und am 27.12.1918 “Beim Empfang der neuen Arbeiten von Frl. Nöther empfand ich es wieder als grosse Ungerechtigkeit, dass man ihr die venia legendi (Lehrbefugnis, Red.) vorenthält...”
Daraufhin wird zum Herbstsemester 1919 erstmals eine Vorlesung unter ihrem Namen angekündigt. 1922 bekommt Emmy Nöther den Titel als “ausserordentlicher Professor”, ein Titel ohne Mittel. Erst 1923 erhält sie zwar keine ordentliche Professur, aber wenigstens einen Lehrauftrag und daraus erstmals eine Vergütung.
Doch zurück zu den Studentinnen. Obwohl im Deutschen Reich auch 1900 der Durchbruch gelingt, sind die Anfänge vor dem ersten Weltkrieg sehr bescheiden. 1910 beträgt der Anteil weiblicher Studenten 5,1%.
Und: Mit der generellen Öffnung der Universitäten für Frauen ist noch keineswegs ein Zugang zu allen akademischen Berufen verbunden. Die theologischen und juristischen Fakultäten lassen Frauen nicht zu ihren Examina zu. Frauen studieren in den ersten Jahren dieses Jahrhundert vorwiegend Medizin oder Sprach- und Kulturwissenschaften, aber auch die Fächer Mathematik und Naturwissenschaften spielen eine wichtige Rolle. In Bonn studiert z.B. 1911 fast jede fünfte Frau ein naturwissenschaftliches Fach. Ein prozentual derart hoher Anteil wird bis heute nicht wieder erreicht.
Der Erste Weltkrieg schafft neue Bedingungen für Frauen an den Universitäten. Bedingt durch die zum Kriegsdienst eingezogenen Kommilitonen erhöht sich der weibliche Anteil aller Studierenden auf fast ein Drittel.
Nach dem Krieg herrscht Aufbruchstimmung. Die in der Weimarer Verfassung verankerte Gleichstellung von Mann und Frau sorgt für die Aufhebung frauenspezifischer Einschränkungen in Zulassungsregelungen und Prüfungsordnungen für bestimmte Berufe, sowie für die Gewährung des Habilitationsrechts für Frauen.
Im Mai 1926 erfolgt in Berlin die Gründung des Deutschen Akademikerinnenbundes. Die Grundüberzeugungen selbst des fortschrittlich radikalen Flügels der bürgerlichen Frauenbewegung entsprechen nicht mehr dem Lebensgefühl einer jungen Generation, die auf Grundlage einer politischen und sozialen Modernisierung des Lebens die Chancen zur Entwicklung neuer Berufsperspektiven nutzen will, ob wohl gerade dies nicht einfach ist.
Speziell am Beispiel der Juristinnen werden die Vorurteile gegenüber Frauen besonders deutlich. Die allgemeine Öffnung der Rechtsberufe für Frauen führt keineswegs zu einem spürbaren Anstieg der Jurastudentinnen. Auch der Trend, Anwältin oder gar Richterin zu werden, ist ebenfalls nicht stark ausgeprägt. Juristinnen sind allenfalls in sozialen Bereichen, bei Rechtsauskunftsstellen oder in der sozialen Fürsorge zu finden.
Während der Zeit des Nationalsozialismus hat Bildung ohnehin keinen besonders hohen Stellenwert, schon gar nicht für Frauen, denen durch eine akademische Ausbildung die Entfremdung von ihrer eigentlichen, “wesensgemäßen” Bestimmung zur Ehefrau und Mutter droht. Nach einem geschlechtsspezifischen Numerus Clausus im Jahre 1934 soll die Zahl der Studienanfänger nicht mehr als 15000 betragen, davon maximal 10% Frauen.
Eine zusätzlich abschreckende Wirkung versprechen sich die braunen Machthaber vom 1932 in Kraft getretenen “Gesetz über die Rechtsstellung der weiblichen Beamten”, nachdem verheiratete weibliche Beamte und Lehrer, falls ihre finanzielle Versorgung gesichert schien, jederzeit entlassen werden köennen. Bis 1933 erhalten im ganzen Deutschen Reich nur zwei Frauen eine ordentliche Professur: die Chemkierin Margarethe von Wrangell in Stuttgart und die - nicht habilitierte – Eriehungswissenschaftlerin Mathilde Vaerting in Jena.
Mathilde Vaerting machte sich durch geschlechterpsychologische Studien und Publikationen mit reformpädagogischen Ansätzen einen Namen. Das thüringisch-sozialdemokratische Ministerium beruft sie an den Universitätsgremien vorbei auf den neu eingerichteten Lehrstuhl für Pädagogik in Jena. Die Fakultät akzeptiert diesen Vorgang nicht und beginnt eine jahrelange Kampagne gegen Mathilde Vaerting. 1933 bietet sich endlich mit dem “Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums” eine ‚legale‘ Möglichkeit, sie zu entlassen.
Nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs normalisieren sich die Verhältnisse keinesfalls so schnell, wie man zu denken versucht ist. Die Militärregierungen der Besatzungsmächte behalten sich weitreichende Entscheidungsbefugnisse bei der Besetzung des Lehrkörpers und der Zulassung der Studierenden vor. Der Krieg hat viele Studieneinrichtungen zerstört. Entsprechend hoch ist der Mangel an Hörsälen und Studienplätzen. Das Zulassungsverfahren  berücksichtigt nicht nur wissenschaftliche und begabungsspezifische Gesichtspunkte, sondern auch politische und soziale Aspekte. Kriegsheimkehrer und Soldatenwitwen werden bei der Vergabe der wenigen Studienplätze bevorzug, sodass viele junge Abiturientinnen keine Chance haben. Im Bereich der West-Alliierten gibt es zusätzlich den Begriff der “Displaced Persons” (DPs): Menschen, die während des Krieges von den Nazis aus ihrer Heimat, vorwiegend aus den von Deutschland besetzten Gebieten deportiert wurden und für die deutsche Kriegswirtschaft Zwangsarbeit verrichten mussten. Auch die DPs werden bei der Vergabe von Studienplätzen bevorzugt behandelt.
Erst mit dem 1949 in Kraft getretenen Grundgesetz  beginnen sich die Verhältnisse für Studentinnen an den Universitäten in der Bundesrepublik Deutschland zaghaft zu normalisieren.
Je stärker der Anteil der Studentinnen zunimmt, je stärker erwachen auch wieder frühere Vorurteile. Und in den Fünfzigern kommt ein neues hinzu: Studentinnen wollen gar nicht in den Beruf gehen, sondern nur die Zeit bis zur Heirat auf anständige Weise überbrücken.
Erst mit der Studentenbewegung der sechziger Jahre beginnt auch eine stärkere Politisierung innerhalb und ausserhalb der Hochschulen, die zu Forderungen nach umfassender Gleichberechtigung in allen Lebensbereichen führt. Die Bildung von Frauengruppen und politische Protestaktionen sind Ausdruck dieser “Neuen Frauenbewegung”, die Kritik an den patriarchalen Strukturen des Sozialistischen Deutschen Studentenbunde SDS übt.
1969 entsteht an der Bonner Universität der Arbeitskreis Emanzipation AKE, der sich schnell zu einer einflussreichen Gruppierung in der deutschen Studentenbewegung entwickelt und massgeblich an der Entwicklung des 1981 entstandenen Frauenreferats im AStA beteiligt ist.
Die Novellierung des Hochschulrahmengesetztes 1985, nach dessen § 2 die Hochschulen bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben auf die Beseitigung der für Wissenschaftlerinnen bestehenden Nachteile wirken müssen, hat dazu geführt, dass 1998 der Anteil der Studierenden bei fast 50% liegt. Die Quote der Promotionen mit 11% und die der Habilitationen mit 4% , zeigt jedoch noch einen erheblichen Handlungsbedarf auf.

Bliebe noch die Geschichte der 1922 geborenen Orientalistin Annemarie Schimmel nachzutragen. Sie promoviert als 19jährige in Arabistik und Islamwissenschaften an der Berliner Universität, habilitiert als 24jährige in Marburg und mit einer weiteren Promotion in Religionsgeschichte 1951 ebenfalls in Marburg. Trotzdem bekommt Prof. Dr. Dr. Annemarie Schimmel in den fünfziger und sechziger Jahren in Deutschland keinen Lehrstuhl, was ein Ordinarius mit den Worten ‚Schimmelin, wenn Se’n Mann wärn, dann kriegten Se `nen  Lehrstuhl‘ kommentiert.
1967 folgt Schimmel dem Ruf an die Havard Universität um 1990 nach Bonn zurückzukehren, wo sie zur Honorarprofessorin ernannt wird.
Professor Stefan Wild in seiner Rede aus Anlaß zu dieser Ernennung:
“Mit der Annahme dieser Professur erweist Frau Prof. Dr. Dr. Schimmel der  Universität eine Ehre. Mit gutem Willen hätte die Universität Bonn Annemarie Schimmel nicht an Havard verlieren müssen”.
Annemarie Schimmel erhält 1995 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels

Kasten:

Zum Thema 100 Jahre Frauenstudium hat der Verein zur Förderung historischer Frauenforschung eine sehr informative Ausstellung mit Schautafeln, Fotos etc. erstellt. Das Ausstellungsmaterial steht Interessierten zur Verfügung.

Weiterhin gibt es einen Ausstellungskatalog für 30,- und für 10,- ein Begleitheft zur Ausstellung. Infos über die Uni Bonn Telefon 0228-7376