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Axel Voss - Freier Journalist

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Großartige Journalistinnen: Marion Gräfin Dönhoff

Als die Gräfin am 10. März 2002 auf die letzte Reise ging, verließ uns nicht nur eine der ganz Großen des Journalismus, sondern auch ein Mensch, der entschieden für die Aussöhnung mit den Völkern des Ostens, für Toleranz und Liberalität eintrat. Eine Frau, vor der ich mich tief verneige. Als dieser Internet-Auftritt entstand bzw. noch in der Planung war, lebte Marion Gräfin Dönhoff noch, und ich hatte eigentlich vor, hier selber etwas über sie zu schreiben. Nach ihrem Tod hat jemand Worte gefunden, die die Gräfin besser nicht skizzieren können. Nachstehend die Rede von Alt-Bundeskanzler und ZEIT-Mitherausgeber Helmut Schmidt anläßlich der Trauerfeier am 22. März 2002 in der Hamburger Hauptkirche St. Michaelis:

Als sich zu Beginn der vorigen Woche Marion Dönhoffs Leben vollendete, da waren wir, die wir traurig und voller Sorge ihre Krankheiten miterlebt haben, wir waren erleichtert: Sie hat das Leiden hinter sich.
Als Marion in einem biblischen Alter, ja weit älter und über den 90. Psalm hinaus, schließlich doch abgerufen wurde, da hat bei vielen von uns, die wir ihr seit Jahrzehnten verbunden sind, die Dankbarkeit für ihre Lebensleistung unsere Trauer überwogen. Und in die Trauer und in die Dankbarkeit mischt sich sogar auch Stolz.
Stolz nicht nur darauf, sie gekannt zu haben, sondern auch darauf, dass wir uns so oft und so lange ihrer moralischen Führung und ihrer geistigen Führung anvertraut haben.
Wenn ich von uns spreche, dann meine ich Marion Dönhoffs Leser und Mitbürger, die von ihr Orientierung und Wegweisung empfangen haben. Ich meine ihre vielen Freunde, in Deutschland, in Europa und draußen in der Welt. Ich meine auch ihre Kollegen in der ZEIT-Stiftung, deren Kuratorium Marion zwanzig Jahre lang angehört hat. Wenn der Stifter, der ein halbes Jahrhundert Verleger der ZEIT gwesen ist, wenn Gerd Bucerius noch lebte, dann würde statt meiner jetzt Bucerius an dieser Stelle stehen und für alle seine Leute und damit zugleich für alle Marion Dönhoffs Leute den Dank an die Gräfin aussprechen.
“Die Grafin”, das war der Name, den die Leute im Verlag, die Sekretärinnen und die Redakteure der ZEIT benutzten, wenn sie von Marion Dönhoff sprechen. Marion war ungewöhnlich bescheiden und anspruchslos. Aber sie hatte nichts dagegen, wenn ihre Redakteure sie nicht mit ihrem Namen anredeten, sondern einfach nur mit dem Wort “Gräfin”. Einige wenige der ihr schon lange Vertrauten redeten sie statt dessen einfach mit Marion an, so Hilde von Lang, so Theo Sommer, so Nina Grunenberg, Haug Kuenheim und manche anderen. Und auch ich. First name basis, aber doch per Sie - das ist gut hamburgisch, aber vielleicht hat es dergleichen auch in Ostpreußen gegeben, wo Marion zu Hause gewesen ist. Marion Dönhoff ist eine der letzten noch Lebenden aus dem Widerstand gegen den Verderber Hitler gewesen. Durch ihre Teilnahme am patriotischen Willen zum Tyrannenmord 1944 in ihrem ersten Leben ist sie später zu einem Symbol des anständigen, des aufgeklärten Deutschland geworden.
Die Verehrung, die wir ihr als einer unanfechtbaren moralischen Instanz entgegengebracht haben, beruht aber noch mehr auf der stupenden journalistischen Leistung im Laufe ihes zweiten Lebens. Sie hat damit politische und moralische Führung gegeben, ohne dafür einen eigenen Anspruch zu erheben.
Unter dem Primat ihres Grundwertes der Würde und Freiheit jeder einzelnen Person, für den sie immer wieder streitbar gefochten hat, hat Marion Dönhoff ihre Leser - und ebenso ihre Kollegen - auf die anderen Grundwerte der Gerechtigkeit und der Brüderlichkeit orientiert - und zugleich hat sie doch in jeder Streitfrage, gegenüber jedwedem Problem oder Dilemma auf der dem Frieden dienenden Vernunft beharrt. Sie konnte notfalls sehr bestimmt sein. Sie war sich ihrer Verantwortung für die salus publica, für das öffentliche Wohl immer bewußt.
Dergestalt ist sie vor beinahe vierzig Jahren zur Vorkämpferin der Ostpolitik geworden, lange bevor es dieses Wort gegeben hat. So wurde sie heute vor einem Jahrzehnt eine Mahnerin zur Versöhung unter uns Deutschen - und die Versöhnung ist auch heute noch lange nicht ganz erreicht. So hat sie dazu aufgerufen, den”Kapitalismus zu zivilisieren” - und Gott weiß, dass sie recht hat: Ein schrankenloser Kapitalismus bedarf der zivilen, das heißt zu deutsch: der mitbürgerlichen Bindung und Kontrolle!
Pastor Reimers hat eben über Glauben, Hoffnung und Liebe gepredigt, über die drei theologischen Tugenden, wie man auch sagt. Marion Dönhoff waren außerdem alle vier Kardinaltugenden zu eigen. Sie war klug, sie war maßvoll, sie war gerecht - und sie war immer wieder tapfer. Sie war immer liberal - und zugleich tolerant gegen andere Meinungen. Sie war ein Vorbild in der Erfüllung ihrer selbstgewählten Pflichten - getreu Immanuel Kants Kategorischem Imperativ.
Sie wußte: Ob nun einer Muslim oder Christ oder Hindu oder auch Atheist ist: Für alle gibt es etwas höheres. Der Mensch ist nicht die letzte Instanz, sondern die Würde des Menschen bedarf der Bindung nach oben. Diesen beiden Sätzen Marion Dönhoffs möchte ich gerne einen weiteren Satz anfügen: Alle Weltreligionen haben ihre Gläubigen nicht etwa Ansprüche oder gar Vorrechte gelehrt, sondern sie haben vielmehr Gebote und Verantwortung gelehrt! So die Thora und das Alte Testament, so das Neue Testament, so der Koran - und so übrigens auch der chinesische Konfuzianismus. Marion hat es immer gewußt - aber wissen wir anderen es auch?
Für uns bei der ZEIT bleibt Marion Dönhoff unser Vorbild. Wir sind entschlossen, ihre Grundwerte hoch zu halten, und ebenso ihre Fahne der Liberalität und ebenso ihre Fahne der Toleranz.
Wir Deutschen insgesamt, wir haben eine wegweisende Mitbürgerin verloren. Ich möchte uns wünschen, dass wir uns auch in Zukunft ihrer erinnern. Denn alle Erinnerung ist Gegenwart.