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Axel Voss - Freier Journalist

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Reportage über die Trüffelsuche im Piemont

 Erschienen am 21.9.2001 in der Rheinischen Post

Verstecktes Gold

Eigentlich ist das Ding eher unscheinbar. Man könnte fast sagen, es sei häßlich. Etwas größer als eine Walnuß, schmutzig, und von der Farbe des Lehms, in dem es noch kurz zuvor steckte. Und es duftet nicht sonderlich delikat. Trotzdem ist das Ding fast so kostbar wie Gold.
Das Ding ist eine Trüffel. Hier im Umland des piemontesischen Städtchens Alba liegt der Preis bei 6000 Mark. Pro Kilo, versteht sich. Bei Feinkost Käfer in München ist der geneigte Feinschmecker bereit, das doppelte auf den Tisch des Hauses zu legen, und Gourmets in New York berappen gar bis zu 10.000 Dollar, vorausgesetzt, die Ware wurde frisch aus Italien eingeflogen.
Der Nebel liegt dicht über dem Städtchen Alba, gut 50km südlich von Turin. Die Oktobersonne versucht hier und da durch die Schwaden zu dringen und taucht die Landschaft in ein gleichermaßen gespenstisches, wie zauberhaftes Licht. Alba besitzt den Dom San Lorenzo, einen prächtigen gotisch-lombardischen Bau aus dem Jahr 1486 mit einzigartigem Chorgestühl. Der Dom hat jetzt im Herbst den Stellenwert eines Kühlschranks bei den Eskimos, denn es beginnt die Trüffelsaison.
“Su su”, “su su” ermuntert Francesco seinen Hund. Waldi war keineswegs in einem Deutsch-Kursus des italienischen Goethe-Instituts und interpretiert “su su” als verkapptes “such, such”. Nein, “su su” versteht Waldi völlig italienisch. Und in dieser Sprache bedeutet “su, su” soviel wie “Los geht‘s . “Nun mach mal!” Hintergrund des Kommandos: Waldi soll auf Trüffeljagd gehen. Das weiße Gold des Piemont, wie es hier auch genannt wird, verschließt sich dem Betrachter. Das ungewöhnliche Pilzgewächs produziert selbst kein Chlorophyll und muß gemeinsam mit anderen Gewächsen, die über diesen lebenswichtigen Stoff verfügen, in Symbiose leben. Deshalb wachsen Trüffeln unter der Erde im Wurzelgeflecht von Bäumen, und zwar nur unter bestimmten. Im Piemont gedeihen Trüffeln hauptsächlich unter Kastanien, Eichen Weiden, Haselnußsträuchern und Pappeln. Der ‚Diamant der Tafel‘, wie ihn der berühmte französische Philosoph und Feinschmecker Jean Anthelme Brillat-Savarin  vor mehr als 200 Jahren bezeichnete, steckt 10 bis 30 cm tief in der Erde und will erschnüffelt werden.
“Su, su”. Francescos eindringliches Flüstern ist eigentlich völlig überflüssig, denn der Hund hat die Witterung aufgenommen, zerrt an der Leine und seinen Herrn durch das raschelnde Laub.
Francescos Alter ist nur schwer zu schätzen. Zwar lugen graue Haare unter der für hiesige Verhältnisse eher untypischen Baskenmütze hervor, aber die im Norden Italiens überhaupt nicht untypischen blauen Augen blicken klar und wach. Francesco trägt eine graue Arbeitshose. Ein dicker Pullover und eine  Lederweste sollen gegen die ungemütliche Kälte schützen. Hinten, am Gürtel, hängt sein wichtigstes Werkzeug, die zappa tartuffo, die Trüffelharke, etwas schmaler als eine gewöhnliche Gartenharke, mit längeren, stärker gebogenen Zinken.
Trüffeln hat Francesco schon gesucht, als er noch bei Fiat in Turin am Fließband stand. Damals war die Trüffelnsucherei eher Sport und Hobby. Heute ist das anders. Gut, Fiat baut zwar immer noch Autos. Auch in Turin. Aber Francescos Fließband wurde längst demontiert und 600 km weiter südlich wieder aufgebaut. Der salario, der Lohn, ist dort viel niedriger, und viele Arbeiter gibt es auch nicht mehr. Die Montage erledigen Roboter.
Um die Familie zu ernähren, ist Francesco auf eine gute Trüffelernte angewiesen. Im letzten Jahr hat er eine Knolle von fast einem halben Pfund gefunden. Das wird heute kaum gelingen, denn Francesco gräbt gemeinsam mit Touristen. Die sollen zwar zuschauen, wie Herr und Hund im Erdreich wühlen, keinesfalls aber Francescos wirklich ertragreichen Jagdgründe zu Gesicht bekommen. Die sind top secret, sichern sie dem Italiener doch den Lebensunterhalt.
Francescos Hund heißt natürlich nicht Waldi, sondern, Lunedi, zu deutsch Montag, weil er an diesem Wochentag geboren wurde. Lunedi kann kaum noch an sich halten. Wild zerrt er an der Leine, läßt dann locker, springt seinen Herrn an und gebärdet sich wie schier aus dem Häuschen. Längst hat er die Fährte aufgenommen. Hier, ja hier muß es sein.
“Sitz Lunedi!” mahnt Francesco. Nur widerwillig gehorcht der Hund. Und dann beginnt Francesco zu graben. Vorsichtig durchpflügt er das feuchte Erdreich mit der zappa tartuffo bis er endlich die eingangs erwähnte hässliche Knolle in den Händen hält.
‚Gut für pasta. Aber auch gut für amore, viel besser als Viagra!‘ berichtet Francesco mit leuchtenden Augen seinen Gästen. Das Publikum nimmt die Botschaft gleichermaßen ungläubig, wie interessiert auf. Seit uralten Zeiten gibt es Berichte über die aphrodisierende .Wirkung der Trüffeln, wissenschaftlich glaubhaft oder gar bewiesen ist davon nichts. Einen Pluspunkt kann die Knolle allerdings für sich verbuchen: Nebenwirkungen, oder gar Todesfälle, wie bei Viagra, sind bisher noch nicht bekannt geworden. Wissenschaftler haben jedoch in den Trüffeln eine Substanz namens Androstenol gefunden, die jeden Schweinestall zuverlässig in ein Liebestollhaus verwandelt. Was die Sau so auf Touren bringt, ist nicht das Ringelschwänzchen des Ebers, sondern sein Speichel. Darin befindet sich reichlich Androstenol, und darum setzen Alfredos Kollegen aus dem französischen Périgord bevorzugt Schweinedamen bei der Suche nach dem weißen Gold ein. Die Säue erschnuppern zielsicher die Knollen in der Erde, weil sie so wundervoll nach Eberspeichel riechen. Ein Duft, der geteilte Meinungen hervorruft. Alfred findet ihn herrlich, setzt aber lieber auf Hundehilfe (bei Schweinen ist die Gefahr zu groß, dass sie den gefundenen Schatz subito vertilgen), andere Menschen assoziieren mit Trüffeln ein strengeres.
“ Die Dinger riechen doch wie dampfende Trappersocken nach einem Dreimeilenmarsch durch die Mangrovensümpfe in Florida” meint Ray Sutton aus Chicago abfällig. Sutton ist Jungunternehmer in der Internetbranche und trotz der Dot.Com-Krise offensichtlich erfolgreich, wie Armani-Mantel und Rolex vermuten lassen. Daheim versuchte er als armer Student vergeblich , seinen Dackel auf Steinpilze zu dressieren. Jetzt hat er das nötige Kleingeld und will ‚the real thing‘ erleben, ist aber etwas enttäuscht. Ein buntes Grüppchen hat sich um Alfredo geschart. Neben Sutton sind da noch eine pensionierte Lehrerin aus Witten, ein Malermeister aus Frankfurt und der Besitzer einer Fabrik für Hosenknöpfe aus Remscheid. Die Gemeinde sinnt über Dinge nach, die dem normalen Verzehrbürger eher abgehoben und sonderbar erscheinen. Ist der luftgetrocknete Serano-Schinken aus Spanien dem italienischen Parmaschinken vorzuziehen? Welcher Wein passt am besten zu piccata milanese, den kleinen Kalbsschnitzeln aus Mailand oder zu risotto alla piemontese, dem weltberühmten Reisgericht der Region? Während die Antworten zu diesen Fragen kontrovers diskutiert werden, ist die Meinung, welche Trüffelsorte die beste sei, einhellig. Selbstverständlich, die weißen Trüffeln aus Alba, genauer gesagt, die vom Typ ‚Tuber magnatum Pico‘. denn Trüffeln gibt es viele. Dass fast jede deutsche Schlachterei trotz des horrenden Preises getrüffelte Leberwurst zu 2,95 Mark anbietet, hat einen Grund, der Alfredos Zunft beleidigt. Trüffeln von erheblich minderer Qualität und zu einem Bruchteil des Preises gibt es u.a. auch aus China und Marokko. Sie sollen sogar schon auf dunklen Umwegen den Weg Trüffelmärkte in Alba gefunden haben. Alfredo zuckt ob dieser Machenschaften nur die Schultern: “Lunedi fiuterà”. Lunedi wird den Braten riechen.