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Axel Voss - Freier Journalist

Aus meinen Arbeitsproben

Zum 40. Jahrestag des Mauerbaus

 Erschienen am 11.8.2001 in der Rheinpfalz

‚Macht das Zuchthaus auf!‘ skandieren tausende Westberliner am 13. August 1961 den Panzern und Soldaten der DDR-Volksarmee entgegen. Vor den Mündungen von Kanonen und Maschinenpistolen beginnen Ostberliner Bauarbeiter mit der Teilung Berlins. Seit etwa ein Uhr nachts rattern die Pressluftbohrer und heben einen Graben aus; quer durch die Ebertstrasse am Brandenburger Tor.
Fassungslos betrachten Berliner in Ost und West die Bauarbeiten. Von einer Stunde auf die andere werden Familien auseinandergerissen, Freunde getrennt. Im Brandenburger Tor stehen knapp dreißig Militärfahrzeuge, die Maschinengewehre sind in Richtung Westen gerichtet. Hinter den Fahrzeugen hat die DDR-Militärregierung ein Schild aufstellen lassen: “Sie betreten den demokratischen Sektor Berlins”.
Vielen Menschen ist das blanke Entsetzen in die Augen geschrieben. Tränen fließen. Und immer wieder skandiert die Menge: ‚Macht das Zuchthaus auf, macht das Zuchthaus auf!
Bei Radio DDR hört sich das anders an. Der Ostreporter erzählt die Wahrheit der Partei: “An allen Panzern  sind Blumensträuße angebracht. Sie sind der Ausdruck der Liebe der Bevölkerung zu ihren Soldaten, die das Agentennetz Westberlin abgeriegelt haben, und die die Bürger unserer Republik schützen. Die propagandistische Begleitmusik zum Bau der Mauer trägt in der DDR fast schon hysterische Züge. An die Mitglieder der sozialistischen Jugend, der FDJ ergeht im Radio der Ruf ‚Freiwillige vor‘. Originalton:
“Das Vaterland ruft. Schützt die sozialistische Republik. Jeder FDJ-ler ist aufgerufen, sich in dieser Stunde freiwillig zum Ehrendienst in den bewaffneten Kräften der Deutschen Demokratischen Republik zu verpflichten. Jeder, der ein ganzer Kerl ist, der das Herz auf dem richtigen Fleck hat, beweist jetzt seine Liebe zur DDR und zum ganzen unbesiegbaren sozialistischen Lager.”
Die DDR reagiert mit der Mauer auf die Massenflucht ihrer Bürger in den Westen. Seit Jahresbeginn waren 160.000 Menschen, fast 10% der Bevölkerung des Ostteils der Stadt, nach Westberlin geflohen, 2400 noch am Vortag. Doch noch kurz, bevor die ersten Steine herangekarrt werden, dementiert DDR-Staasratvorsitzender Walter Ulbricht energisch entsprechende Pläne. So antwortet er auf die Frage der Berlin-Korrespondentin der ‚Frankfurter Rundschau‘ bei einer Pressekonferenz am 15. Juni 1961, ob es Pläne gäbe, am Brandenburger Tor eine Staatsgrenze zu errichten: “Ich verstehe Ihre Frage so, dass es Menschen in Westdeutschland gibt, die wünschen, dass wir die Bauarbeiter der Hauptstadt der DDR mobilisieren, um eine Mauer aufzurichten. Mir ist nicht bekannt, dass eine solche Absicht besteht. Die Bauarbeiter beschäftigen sich in der Hauptstadt hauptsächlich mit dem Wohnungsbau. Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.”
Natürlich bestand diese Absicht. Und diese Absicht war nicht nur in der DDR, sondern auch bei den Westmächten und auch in Bonn bekannt. Kurz zuvor, am 3. Juni 1961, traf sich der gerade mal sieben Monate amtierende US-Präsident John F. Kennedy mit dem sowjetischen Staats- und Parteichef Nikita Chruschtschow in Wien zu einem Meinungsaustausch. Die Botschaft aus Moskau an Kennedy war unmißverständlich: Friedensvertrag mit Deutschland zu sowjetischen Konditionen. Das bedeutete: völkerrechtliche Anerkennung der Teilung Deutschlands, Anerkennung Westberlins als selbständige politische Einheit, Neutralisierung und Entmilitarisierung Deutschlands, Anerkennung der Oder-Neiße-Linie als endgültige deutsche Ostgrenze und dann, irgendwann am Ende, freie Wahlen.
Akzeptierten die Westmächte Moskaus Wünsche nicht, werde die Sowjetunion einen Friedensvertrag mit der DDR abschließen und ihr auch die Kontrolle der Zufahrtswege nach Berlin überlassen. Kennedy blieb hart. Ein solcher Schritt, erklärt der US-Präsident könne ‚fatale und unvorhersehbare Folgen‘ haben. Daraufhin befiehlt Chruschtschow seinem Ostberliner Statthalter Ulbricht das Dementi des 15. Juni. Dennoch liefen die Vorbereitungen der Teilung Berlins auf östlicher Seite weiter. Konnten die Sowjets nicht ihr Idealziel durchsetzen, so wollten sie doch wenigstens eine ‚kleine Lösung‘. Zusätzliche Panzertruppen bezogen rings um Berlin Stellung, riesige Mengen Betonpfeiler und Stacheldraht wurden nach Ostberlin gekarrt. Dinge, die den westlichen Geheimdiensten unmöglich verborgen bleiben konnten.
Politischer Protest gegen die Aktionen im Osten wären durchaus möglich gewesen, ein aktives Eingreifen, von Kennedy auf diplomatisch Weise nicht ausgeschlossen, keinesfalls. Ganz abgesehen davon, dass ein militärischer Eingriff die Welt an den Rand des 3. Weltkrieges gebracht hätte, wäre es auch ein aussichtsloses Unterfangen gewesen. In Westberlin waren lediglich 15 Nato-Divisionen stationiert, im Ostteil der Stadt jedoch 20 russische Divisionen, die aufgrund der geringen Entfernung zu Moskau um täglich vier Divisionen hätten verstärkt werden können. Die DDR stand in jenem Tagen kurz vor einem Volksaufstand. Chruschtschow wusste dies. Kennedys Abrüstungsberater traf sich am 26. Juli 1961 mit dem sowjetischen Parteichef in dessen Urlaubsort Sotschi am Schwarzen Meer und erfuhr, dass was auch immer in Berlin passieren würde, sich keinesfalls gegen die Präsenz der Westalliierten in der Stadt richtet, sondern Maßnahmen zur Stabilisierung der Machtverhältnisse in der DDR waren. Ringlein, Ringlein, du musst wandern. Die politische Geheimpost nahm ihren Lauf. John F. Kennedy schien nicht im Geringsten überrascht, als ihn auf seinem Kabinerkreuzer ‚Marlin‘ bei Cape Cod um 12.00 Uhr des 13.8.1961 die Bpotschaft erreichte, dass Ostberlin vom Westen der Stadt abgeriegelt wurde. Auch der britische Premier Harold Macmillan ließ sich am gleichen Tag bei seiner Jagd auf Moorhühner im schottischen Hochland nicht stören. Und auch Konrad Adenauer zeigte keinerlei Aufregung, als ihn der gesamtdeutsche Minister Ernst Lemmer (CDU) in seinem Haus in Rhöndorf anrief, um den Kanzler über die Vorgänge in der alten Reichshauptadt informierte. Adenauer ging mit seiner Familie zur Messe, denn der 13. August 1961 war ein Sonntag.

Die warme Frühlingssonne scheint an diesem Sonntag, 18. März 1990, über den Potsdamer Platz im Herzen Berlins. Während im Ostteil der Stadt die Bürger in die Wahllokale strömen, um zum ersten Mal in der Geschichte der DDR ein freies Votum abzugeben, sind im Westen die Mauerspechte damit beschäftigt, kleine Stückchen aus der Oberfläche des Grenzwalls zu schlagen, der die Stadt fast dreißig Jahre teilte. Spaziergänger schlendern über das staubige Gelände, in den Zwanzigern des vergangenen Jahrhunderts die verkehrsreichste Straßenkreuzung des Erdballs und beobachten das geschäftige Treiben an der kürzlich geöffneten Grenze. Hier und da sind Decken ausgebreitet. Mit Thermoskanne und Butterbroten geniessen die Berliner bei einem Picknick das schöne Frühlingswetter.
“Kiek mal da, det is ja kaum zu jlooben” ruft einer. “Da lässt eener Drachen steijen!”. Tatsächlich, über der Mauer schwebt ein rotgrüner Windvogel. Das Segel ziert ironischerweise das Piktogramm des Notausgangs. Und es soll nicht der einzige Drachen bleiben. Sein Pilot, Rainer Kregovski auf Besuch aus Hamburg, hat gemeinsam mit seinem Berliner Freund Michael Steltzer eine einmalige Aktion vor. Sie wollen eine Kette von mehreren hundert Drachen im Bogen über die Mauer spannen. Ein Ende der Kette soll im Ostteil, das andere Ende im Westteil verankert werden.
Michael Steltzer erklärt das Vorhaben:”Bei den Drachen handelt es sich um Ohashi-Drachen, so benannt nach seinem japanischen Erfinder Eiji Ohashi. In Japan gilt der Bogen aus Drachen als Symbol der Verbundenheit und Freundschaft. Wir wollen auf diese Weise die Verbundenheit der West- und Ostberliner dokumentieren.”
Eine ungewöhnliche Idee. Ob die Grenzposten wohl mitspielen? Gewiss, das politische Klima hat sich genauso erwärmt, wie die Frühlingssonne. Aber so einfach, mir nichts dir nichts, das Gelände an der Mauer zur Drachenwiese mit Großspektakel umzufunktionieren? Geht das nicht vielleicht doch zu weit? Nein, nach dem die beiden Drachenverrückten den Grenzposten ihr Vorhaben erklärt haben, sind diese von der Idee begeistert und bieten sogar ihre Hilfe an! Ebenfalls keine schlechte Idee, denn eine Kette aus mehreren hundert Drachen will gebändigt sein, und da ist jede helfende Hand willkommen.
Und so stehen die Drachen nach einer halben Stunde an diesem 18. März am Himmel über Berlin. Auf den Tag genau einhundertvierundvierzig Jahre nach dem denkwürdigen Tag, als 1848 der preußische König Friedrich Wilhelm IV. angesichts der wachsenden revolutionären Bewegung Zugeständnisse an die aufgebrachten Massen machen musste. Der König erließ ein Patent in dem er unter anderem die Beseitigung der Zollschranken und die Einführung der Pressefreiheit zusagte. Die Märzrevolution forderte allein in Berlin 240 Tote unter der Zivilbevölkerung. Der König sah sich gezwungen, den gefallenen Revolutionären seine Achtung zu bezeugen. Er verneigte sich vor den im Schloßhof aufgebahrten ‚Märzgefallenen‘.

Die Rheinpfalz hat Menschen gesucht und gefunden, die am 13. August Geburtstag haben und sie befragt, ob sie beim Gedanken an ihr Geburtsdatum einen besonderen Bezug zu den Vorgängen 1961 in Berlin entwickelt haben.

Ute Pape, Präsidentin der Hamburger Bürgerschaft, feierte am 13.8.1961 ihren zwölften Geburtstag. Für sie ist der 13. August eben ihr Geburtstag und sonst ein Tag wie jeder andere auch. Sie hat nur sehr verschwommene Erinnerung an den Tag des Mauerbaus. “Meine Eltern waren sehr aufgeregt. Den ganzen Tag stand das Telefon nicht still. An Einzelheiten kann ich mich aber nicht erinnern'‘liess sie durch ihr Büro ausrichten.

Barbara Teschendorf-Mindach, geboren in Berlin (West), jetzt Chefsekretärin in Ludwigshafen, hat ein anderes Erinnerungsvermögen. “Am 13.8.1961 feierte ich meinen neunten Geburtstag. Eigentlich kamen immer Oma und Opa aus der Ostzone an meinem Geburtstag zu Besuch. Sie wohnten in Königswusterhausen, südwestlich von Berlin. 1961 kam nur Opa. Oma war zuhause geblieben. Sie war schon recht alt und stark gehbehindert. Morgens hörten wir im Radio, dass Grenzsoldaten rund um Westberlin eine Mauer bauen. Ja, was für eine Mauer?  Niemand konnte sich vorstellen, was das zu bedeuten hat. Aber die Nachrichten konkretisierten sich. Es hieß, die Grenzen würden geschlossen. Meine Eltern beknieten Opa, ‚erst mal‘ bei uns im Westen zu bleiben. Aber Opa dachte nicht daran, die Oma, mit der er schon die Diamantene Hochzeit gefeiert hatte, im Stich zu lassen. Er nahm sein Köfferchen und zog nach tränen- und schmerzensreichem Abschied gen Osten. Niemand ahnte, dass wir uns jahrelang nicht mehr sehen würden. Irgendwann, 1964 oder 1965, gab es zu Pfingsten die ersten Passierscheine für Westberliner. Ich sah Oma und Opa zum letzten Mal. Wir durften später nicht einmal zur Beerdigung, erst von Opa und dann meiner Oma. Erst nach der Wende stand ich zum ersten Mal an ihrem Grab.

Dr. Henning Voscherau, Rechtsanwalt und ehemaliger Bürgermeister von Hamburg in einer Rede im Bundestag am 10.11.1989, zwei Tage nach dem Fall der Mauer: Am 13. August 1961 war mein 20. Geburtstag. Damals habe ich geweint. Und auch gestern hatten viele Menschen in unserem Lande einen Kloß im Hals, gab es Tränen der Wehmut, der Verzweiflung – rückwärts gerichtet – und der Freude.

 

 

 

Claudia Rücker hat einen ganz besonderen Geburtstag. Die Sozialarbeiterin und ehrenamtlich in der SPD engagierte Kommunalpolitikerin aus Crumstadt bei Gross Gerau kam am 13.8.1961 auf die Welt, also exakt am Tag des Mauerbaus. Einen besonderen Bezug zur Teilung Berlins hat sie nicht entwickelt, weiss aber,  dass sie um 12.00 mittags auf die Welt kam.

“Das war genau die Zeit, als die ersten  detailierten Nachrichten

bei uns im Radio eintrafen. So haben es mir meine Eltern jedenfalls erzählt” berichtete sie der Rheinpfalz.

 

 

Auch Peter Schmechel, Altenpfleger aus Aachen erblickte am 13.8.1961 das Licht der Welt. Ihm wurde die historische Bedeutung seines Geburtstages erst im Geschichtsunterricht in der Schule bewußt. “Ein besonderes Gefühl war das schon, genau an jenem Tag geboren zu sein. Aber das berühmte Foto des Soldaten, der im letzten Moment mit dem geschulterten Gewehr über den Stachendraht springt, ernüchtert schon, bringt dich in die historische Realität zurück. Jedes Jahr muss ich an meinem Geburtstag an diese Foto denken. Es geht mir einfach nicht aus dem Kopf.”