Axel Voss - Freier Journalist

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Zum 20. Todestag von John Lennon

Erschienen am 2.12.2000 in der Rhein-Zeitung

Tod einer Legende

Der 15. Dezember 1980 war ein denkwürdiger Tag in der Geschichte der Chinesen. Zum ersten Mal hörten sie im nationalen Fernsehen Musik der Beatles. Trotzdem kein Anlaß zur Freude. Sieben Tage zuvor erschoß Mark David Chapman, ein 25jähriger Wachmann aus Hawaii, die Beatle-Ikone John Lennon vor dem Dakota Gebäude an der 72. Straße in New York. Der chinesische Kommentator würdigte Lennon als eine Persönlichkeit, die es verstanden habe, “aus Poesie Lieder werden zu lassen” und gleichzeitig die “Unzufriedenheit einer ganzen Generation auszudrücken”.
Mit John Lennons Tod endete eine weitere Epoche. Musikexperten waren sich bereits seit der Trennung der legendären ‚Fab Four‘ im April 1970 einig,  dass die Musikgeschichte in eine Vor- und Nach-Beatles Ära eingeteilt werden müsse. Nun aber hatte die Wirklichkeit all die Träumer eingeholt, die auf ein Revival der Musiker aus Liverpool gehofft hatten. Ein Revival, dass es auch ohne John Lennons Tod mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nie gegeben hätte. Zu unterschiedlich waren die Vorstellungen der musikalischen Köpfe der Beatles: Paul McCartney und John Lennon, der, was kaum jemand weiß, Legastheniker war. Legastheniker sind nicht nur unfähig, orthografisch korrekt zu schreiben, sondern können auch nicht von der Lautung auf das richtige Wortbild schließen und dieses in der Vorstellung erhalten, und neigen zur Verdrehung von Lautung und Buchstaben, sie verwuchseln Bechstaben.  Das Genie in John Lennon mag daran erkennbar sein, dass er es verstand, aus dieser im Normalfall lästigen Beeinträchtigung seine Vorteile zu ziehen. Der Hang zur Umkehrung ist ein typisches Merkmal in seiner Schaffenskraft sowohl als Texter als auch Komponist. Seine Musik verharrte nie in einer kontinuierlichen Tonart, sie veränderte ständig die Phrasierung. Lennon spielte zu seinem größten Vergnügen Tonbänder rückwärts ab. All dies begann, als er 1966 eines abends sichtlich angetrunken aus den Plattenstudio zurückkam und versuchte, sich seinen letzten Song, das dudelsackunterlegte ‚Rain‘ anzuhören. Nun war das Band falschherum aufgewickelt und beim Abspielen ertönte nur zusammenhangloses Gewimmer. Begeistert von seiner Entdeckung brachte Lennon einen Ausschnitt auf dem Plattenende unter.
In diese Zeit fällt auch ein Ereignis, das den Beatles, und damit John Lennon, beinahe zum Verhängnis geworden wäre und leicht das Ende der Karriere bedeutet hätte. Während der vierten und letzten USA-Tournee der Beatles im August 1966 brachten amerikanische Zeitungen ein angebliches Lennon-Zitat, nachdem die Beatles jetzt populärer als Jesus Christus seien. Tatsächlich fiel eine solche Bemerkung in einem Interview, das die amerikanische Journalistin Maureen Cleave bereits Monate zuvor mit Lennon für den ‚Evening Standard‘ geführt hatte. In diesem Interview hatte sich Lennon zweifelnd darüber geäußert, was wohl zuerst verschwinde, der Rock’n’Roll oder das Christentum; und dabei auch angemerkt, die Beatles seien im Moment sicher populärer als Christus. Niemand hatte etwas gegen diese Aussage eingewendet oder sie gar gerügt. Als die US-Presse der bibelfesten Südstaaten in den USA diesen Satz jedoch völlig aus dem Zusammenhang gerissen zitierte, war die Hölle los. In Nashville, Tennessee verbrannten aufgebrachte Menschen Beatles-Platten in der Öffentlichkeit. Der Ku-Klux-Klan kündigte an, die Tournee der Beatles gewaltsam zu beenden, sofern Lennon nicht widerriefe. Nach Angaben von Tourneeveranstalter und Polizei hätte es seitens der Fans jedoch weitaus größere Tumulte gegeben, wäre die Tournee wirklich abgebrochen worden.
Also setzten die Beatles sie fort. Kurze Zeit später, bei einer Pressekonferenz, die Brian Epstein, der Manager der Beatles einberief, um den Eklat aus der Welt zu schaffen, trat ein von Weinkrämpfen geschüttelter John Lennon vor die Vertreter der Presse und versuchte zu erklären, was er zum Ausdruck hatte bringen wollen. Es muss ein Gang nach Canossa gewesen sein, denn immer wieder forderten die puritanischen Reporter Lennon auf, er solle sich für seine blasphemischen Äußerungen entschuldigen, so dass dieser sich endlich zu einer Erklärung bereit fand, er bedauere die bewußten Bemerkungen.
Ungeachtet dessen hatte John Lennon seinen letzten öffentlichen Auftritt mit den Beatles während dieser USA-Tournee am 29. August 1966. Musikkritiker führen bisweilen an, der Grund sei in der Komplexität der Musik der Beatles zu suchen. Titel wie ‚Lucy In he Sky With Diamond‘,  ‚Eleanor Rigby‘ oder ‚All You Need is Love‘ ließen sich zwar im Studio spielen, der technische Aufwand sei jedoch (damals) nicht auf eine Bühne transportierbar. Dies mag richtig sein. Viel entscheidender war jedoch die Selbstdarstellung der Beatles, und ganz besonders die von John Lennon, auf der Bühne. Rockstars sind vergleichbar mit einem Schlangenbeschwörer. Sie müssen dem Gegenüber ihren Willen aufzwingen. Diese Eigenschaft fehlte John Lennon. Man vermißte die mitreißende Darstellungskraft eines Little Richard, die beeindruckende Souveränität eines reifen Elvis Presley oder die zirkusreifen Verrenkungen eines Mick Jagger. John Lennons Talent konnte sich auf einer Bühne niemals entfalten. Sein musikalisches Genie zog ihn dorthin, wo er all die Virtuosität an den Tag legen konnte, die nur wenige Musiker dieses Jahrhunderts erreichten: an das Studiomikrofon. Neben Paul McCartney war es John Lennon, der den Entschluß der Beatles, sich von der Bühne zu trennen, bestärkt und beschleunigt hat, hatte er doch die Vision, dass die Beatles  nur befreit vom ständigen Termindruck der Tourneen, sich als Individualisten weiterentwickeln würden. Wie Recht sollte er behalten! Kaum von den Pflichtvorstellungen entbunden, stoben die Beatles in alle Himmelsrichtungen auseinander. George Harrisson besuchte zum ersten Mal Indien, um bei Ravi Shankar das Spiel der Sitar zu erlernen und vom Guru Maharishi Mahesh Yogi eine Mantra zu bekommen. Paul McCartney bereiste Ostafrika. John Lennon versuchte sich nach den Beatles-Streifen ‚A Hard Days Night‘ und ‚Help‘ erneut im Filmgeschäft. In Richard Lesters Satire ‚Wie ich den Krieg gewann‘ trat er endgültig den Beweis an, ein miserabler Schauspieler zu sein, gleichwohl der Film einem Lennon’schen Utensil und späterem Markenzeichen zu ungeahntem Bekanntheitsgrad verhelfen sollte: der Nickelbrille.
Zwei Monate später ereignete sich ein Vorfall, der kennzeichnend für den weiteren Lebensweg sein sollte. John Lennon besuchte die Londoner Galerie ‚Indica‘. Dort sollte eine Performance stattfinden, zu der ihn eine etwas sonderbare japanische Künstlerin eingeladen hatte. Ihr Name: Yoko Ono. Die Frau, die Lennon 1969 heiratete. In die Japanerin schien er nicht nur verliebt zu sein. Er war geradezu besessen von diesem personifizierten Gegenpol seines Ego. In Yoko Ono fand er all das, was er früher immer vergeblich gesucht hatte: Liebe, Aufrichtigkeit und hundertprozentige Geborgenheit, denn Lennon wuchs bei Mimi Stanley, seiner Tante mütterlicherseits, auf. Seine getrennt lebenden Eltern bekam er kaum zu Gesicht und Johns erste Ehe war als Folge einer ungewollten Schwangerschaft eher eine Art Betriebsunfall.
Da erschien Yoko Ono wie die Pforte zu einer neuen, anderen Welt. Zu Kunst, Literatur, Malerei und einem völlig anders gearteten Lebensstil. Bis dahin war John Lennon  ein Nobody. Nur als Gitarrist mit den anderen Beatles Ringo Starr und George Harrison sowie besonders als Komponist und Texter gemeinsam mit Paul McCartney, hatte er es zu Ruhm und Erfolg gebracht. Aber es war eben eine Art Kollektiv-Ruhm, keine individuelle Popularität, die der Egomane Lennon brauchte wie die Luft zum Atmen. Folgerichtig ging Lennon zunehmend auf Distanz zu den Beatles, nannte sie öffentlich ‚Beastles‘ und kündigte an, zukünftig allein Musik machen zu wollen.
Zunächst enfaltete er jedoch unter dem Einfluß von Yoko Ono andere Aktivitäten, begann zu Malen und drehte Kurzfilme. Dinge, für die die übrigen, bodenständigen Beatles kein Verständnis hatten.
Als Lennon und Ono kurz nach ihrer Hochzeit das erste ihrer berühmten Bed-ins im Amsterdamer Hilton Hotel veranstalteten, war die Kluft zu den Rest-Beatles unüberwindbar geworden. Die Idee, sich vor versammelter Presse in einem Bett zu brisanten Fragen der Weltgeschichte zu äußern, war einfach zu abenteuerlich und paßte nicht so recht in das Weltbild von Paul McCartney, George Harrison und Ringo Starr. Sie trafen Lennon kaum mehr. Und wenn doch, war der Streit vorprogrammiert. Hauptsächlich wegen Yoko Ono, mit der – außer John – scheinbar niemand auskommen konnte. Ob es nun John Lennons Egomanie war oder Yoko Onos zusätzlicher Einfluß, sei dahingestellt. Jedenfalls gab Paul McCartney im April auf einer spontanen Pressekonferenz bekannt, die Beatles seien aufgelöst. Das letzte Album der Fab Four hieß pikanterweise ‚Let it be‘.
John Lennons ganz persönliches Let it be sorgte bereit sechs Monate zuvor zumindest in England für Schlagzeilen, als im Buckingham Palast ein Brief mit folgendem Wortlaut eintraf: ‚Eure Majestät, ich gebe meinen Orden des Britishen Empire zurück, weil Großbritannien sich in den Nigeria-Biafra Konflikt einmischt, die amerikanische Vietnampolitik gutheißt und ‚Cold Turkey‘ nicht mehr auf der Hitliste steht. Viele Grüße, John Lennon.‘
 Nachdem Ende der Beatles-Ära suchte Lennon nach Möglichkeiten, sich auch musikalisch frei und selbstbestimmt zu entfalten. Und er bekam sie. Bereits seine erste eigene LP ‚John Lennon: Plastic Ono Band‘ erwies sich weniger als Pop-Album denn als Manifest und als kritische Auseinandersetzung mit seiner Beatles-Zeit.
Lennon lebte inzwischen in den USA, obwohl er dort wegen seiner abfälligen Kommentare über Präsident Richard Nixon und den Vietnam-Krieg als unerwünschte Person galt. Als er öffentlich bemerkte “Nixon, remember Nuremberg” (Nixon, denk‘ an Nürnberg. Eine Anspielung auf die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse der Alliierten gegen die Nazis), versuchte die US-Regierung, Lennon auszuweisen und schob als Grund ein abgelaufenes Visum vor. Vergeblich. Der rebellische Engländer hatte viele gute Freunde – und das nötige Geld, um sich die besten Anwälte leisten zu können; und diese erwirkten immer neue Aufschübe. John Lennon hatte ausreichend Zeit, die Rolle eines politischen und musikalischen Outlaws zu spielen. Eine Rolle, an die er wahrscheinlich selber glaubte. In diese Zeit fallen zahlreiche Benefizkonzerte für politische Gefangene und weitere Schallplatten, darunter auch das legendäre ‚Imagine‘.
Doch auch ein John Lennon brauchte irgendwann einmal eine Pause. Diese sollte kommen, als Yokon Ono im Oktober 1975 seinen zweiten Sohn Sean zur Welt brachte. John zog sich aus der Öffentlichkeit zurück und verbrachte den Rest seines Lebens wie ein Einsiedler. Zurückgezogen in seinem New Yorker Haus widmete sich der Ex-Beatle fernöstlicher Philosophie, Meditation und der Komposition von Songs, die zum Großteil nie zur Veröffentlichung gelangten. Nicht weil sie etwas schlecht waren, sondern weil er gar nicht vorhatte, sie jemals der Öffentlichkeit vorzustellen. Lennon brauchte seinen eigenen Mikrokosmos, seine eigene Welt und Musik. Die Musik wollte er 1980 dann doch noch einmal mit der restlichen Welt teilen. ‚Double Phantasy‘, sein letztes Album, war bereits ein Millionenseller . John Lennon wollte es sogar auf einer Welttournee präsentieren. Dazu kam es nicht mehr. Am 8. Dezember 1980, nur wenige Stunden, nachdem er noch im Studio war, um Yokos ‚Walking On Thin Ice‘ zu produzieren, fielen die tödlichen Schüsse.
Heute ist Lennons Popularität ungebrochen, auch wenn die Medien nicht müde werden, immer wieder auf den menschlichen Fiesling Lennon hinzuweisen. Sicher war John Lennon nicht der Mensch, den man mit dem Riesenhit ‚Give Peace A Chance‘ assoziiert. Mythos zu werden, verlangt bisweilen einen Tribut zu Lebzeiten. John Lennon hat diesen Tribut bezahlt. In Form von exzessivem Genuß von Rauschgift, extremer Introvertiertheit, und einem kurzem, jedoch unglaublich kreativem Leben. Die Vorwürfe jedoch, die Medien hätten in Lennons Privatsphäre ein- und ihn angegriffen, sind genauso absurd wie die Klage einer Striptease-Tänzerin, sie werde von Männern angeglotzt. Give Peace A Chance