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Alfred, der Westentaschendemagoge
Es gibt Fernsehserien mit so starken Charakteren, dass diese fast zum Titel der Serie mutieren. Eine solche Serie ist “Ein Herz und eine Seele”, viel besser bekannt unter dem Synonym “Ekel Alfred.” Ganz schön
mutig, was uns der WDR unter der Regie von Jürgen Flimm aus dem Drehbuch von Wolfgang Menge da von 1973 bis 1976 servierte. Alfred Tetzlaff (dargestellt von Heinz Schubert) ist der ungekrönte Meister der
Fäkalsprache und Inbegriff des deutschen Spießbürgers. Ein Arbeiter, der CDU wählt, seine Ehefrau Else (anfangs Elisabeth Wiedemann, später Helga Feddersen) mit “dusselige Kuh” anredet, und auch sonst ständig mit
Begriffen wie “Arschloch” oder auch “Scheißsozis” um sich wirft. Wer sich mit Alfred auf einen Wortwechsel einläßt, muß sich auf verbale Giftpfeile vorbereiten. Alfred, der knapp 1,60 Meter große
Westentaschendemagoge, ist ständig besorgt, kommunistische Horden könnten über den Westen herfallen. Die sozialliberale Koalition ist ihm ein Gräuel und Kabarettisten wie Dieter Hildebrandt sind nach der Meinung des
keifenden Gartenzwerges Staatsfeinde, die es in Ketten zu legen gilt. Am Bedenklichsten jedoch, und dieser Umstand spaltete die Republik vor 30 Jahren tatsächlich in zwei Lager, ist Alfreds Fußballverein.
Alfred wohnt mitten im Ruhrgebiet. Allenfalls Schalke 04 oder Borussia Dortmund kommen da in Frage, denn Westfalia Herne spielt ja nur in der Regionalliga. Alfred ist echter Patriot und daher heißt sein
Lieblingsverein Hertha BSC! Und Alfred hegt den Verdacht, der Schwiegersohn Michael Graf (anfangs Diether Krebs, später Klaus Dahlen) sei ein DDR-Spion. Denn Tochter Rita (Hildegard Krekel), eine etwas tumbe
Vorstadtgrazie mit kurzem Miniröckchen und hohen Stiefeln hat doch tatsächlich den Erzfeind, einen waschechten Sozialdemokraten, vor den Traualtar gezerrt und mangels Masse für ein eigenes Heim in das von Alfred
geschleppt. Indes, nach Alfreds Philosophie ist eine Familie die unbezweifelte Basis einer geordneten Gesellschaft. Alfred wehrt sich gegen die allgemeinen Auflösungserscheinungen, die bedauerlicherweise auch vor
dieser kleinsten Zelle der Nation nicht haltgemacht haben auf seine Weise und toleriert den Schwiegersohn als Gast. Allerdings ergeben sich aus dieser Konstellation schon Reibereien, die Alfred vorzugsweise aus
der Wohnküche, der letzten Bastion abendländischer Kultur, zu glätten versucht. Dabei schreckt er nicht davor zurück, Hosenträger über dem halbärmligen Unterhemd, an seinen Fußnägeln herumzuschnippeln, obwohl die
Familie noch Abendbrot futtert. Alfred betätigt sich auch als Heimwerker. Jedoch sind seine Versuche etwa den Fernseher zu reparieren zum Scheitern verurteilt. “Ein Herz und eine Seele” war 1973 in doppelter
Hinsicht ein absolutes Novum. Abgesehen von den, sagen wir, ungewöhnlichen Dialogen, handelte es sich immer um eine brandaktuelle Serie. Die einzelnen Episoden wurden nämlich immer erst am Tag der Ausstrahlung
aufgezeichnet. So konnte Drehbuchautor Wolfgang Menge stets noch in letzter Minute tagesaktuelle Ereignisse in die Drehbücher einbauen. Keine andere deutsche Fernsehserie erregte jemals ein solches Aufsehen.
Berge von Zuschauerbriefen erreichten den WDR, sogar der Spiegel räumte dem Phänomen Alfred eine Titelstory ein und selbst in ausländischen Gazetten wurde diskutiert, ob die Wiedergeburt der Nazis eingeläutet werden
solle. Wissenschaftler rückten Alfred auf den Pelz und analysierten seine Breitenwirkung. Die Psychologen kamen zu dem Ergebnis, dass Alfreds Verbalinjurien vom Publikum wahrgenommen wurden, wie sie gemeint
waren: als satirische Überspitzung. Die Zuschauer störten sich eher an der ordinären Sprache, weniger an Alfred Politsprüchen. Und Alfred Tetzlaff dürfte die einzige Fernsehfigur sein, die jemals Einzug in den
Deutschen Bundestag gehalten hat. Zitat: “Wenn ich Alfred Dregger mit Alfred Tetzlaff vergleiche, erscheint mir Alfred Tetzlaff sehr sympathisch, weil er unverblümt sagt, was er denkt.” So der ehemalige
Staatssekretär Horst Ehmke während einer Bundestagsdebatte.
Info: Ein Herz und eine Seele Deutsche TV-Serie Insgesamt wurden von 1973 bis 1976 25 Folgen a 45 Minuten gedreht Stammbesetzung: Heinz Schubert (Alfred Tetzlaff)
Seine Frau Else Tetzlaff (Elisabeth Wiedemann 1973-74 und Helga Feddersen 1975-76) Rita Graf (Hildegard Krekel) Michael Graf (Diether Krebs 1973-75 und Klaus Dahlen 1986)
Gäste: Barbara Nüsse, Marie Luise Marijan
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